Wenn man sich im Hochgebirge alleine und ohne Guide in die Wildnis wagt, widerfahren einem Dinge, die man aus dem ach so sicheren Alltag daheim nicht mehr kennt.
Das Nubra-Valley, eingeklemmt zwischen Pakistan und China, ist im Norden Ladakhs eine auf ca. 3.000 Meter gelegene Ebene. Knapp 130 km von Leh entfernt, wagten wir uns, wieder mit unserer 350ccm-starken Royal Enfield „Bullit“, dort hin.
Den ersten Teil der Reise kannten wir, ging es erneut über den höchsten Pass der Welt. Diesmal starteten wir unsere Tour jedoch kurz nach Sonnenaufgang. Bereits beim Start, im 3.600 Meter hoch gelegenen Leh zog uns die Kälte gnadenlos durch unsere 6lagige Bekleidung. Entsprechend klamm erreichten wir die Pass-Spitze. Die zwei heißen Tees vermochten es jedoch nicht, unsere Kerntemperaturen dort hin zu hieven, wo sie sich sonst befinden.
Todesverachtend stürzten wir uns hinab ins Tal, in der Hoffnung, die Sonne taue uns dort unten irgendwann wieder auf. Ein Trugschluss, wie sich später zeigen sollte.
Auf den 90 Kilometer hinab ins Tal, juckelten wir vorbei an Jak-Herden, quiekenden Murmeltier-Kolonien, gigantischen, ausgewaschenen Berghängen und scheinbar bodenlosen Schluchten. Am Ende unserer knapp 4stündigen Talfahrt standen wir auf 3.000 Metern Höhe, umgeben von schneebedeckten 5- und 6-Tausendern und beobachteten, wie Kamele in Sanddünen umherliefen. Wir wähnten uns, wie in einem verrückten Film von Tim Burton. Es fehlte nur das Riesenkaninchen.
Auf unserer gesamten Fahrt hielt es die Sonne nicht für notwendig, sich hinter den grauen Wolken zu zeigen und uns aufzutauen. Entsprechend gefrostet suchten wir uns ein Gästehaus in Hunder, in dem wir gegen 8 Uhr Abends in unsere Schlafsäcke kletterten und bis zum nächsten Morgen blieben.
Kurz nach Sonnenaufgang schwante uns beim Blick aus unseren Schlafsäcken nichts Gutes. Hielten sich die Wolken am Vortag in sicherer Distanz, über den hohen Berggipfeln auf, zogen sie jetzt als trübe Regenwolken knapp über unseren Köpfen durchs Tal. Über Nacht war die Schneefallgrenze deutlich gesunken.
Da wir unsere Rückreise an die Öffnungszeiten der örtlichen Tankstelle auf um 10 Uhr geplant hatten, gaben wir den Wolken noch ein paar Stunden Zeit, sich zu verziehen. Und siehe da, kurz vor dem Aufbrechen zurück nach Leh blitze der erste blaue Himmel auf und wenig später strahlte uns die Sonne an. Einer angenehmen Rückreise schien nichts mehr im Weg zu stehen.
Ein Irrglaube, wie sich in dem Moment zeigte, als wir an der Tankstelle in Diskit standen. Ein ebenfalls auf Benzin Wartender berichtete in gebrochenem Englisch „Benzin alle“. Unsere Frage auf Nachschub beantwortete er mit „vielleicht Übermorgen“. Mit unserem einen Liter Restvolumen im Tank kämen wir gerade mal zu unserem Gästehaus zurück, geschweige denn in die Nähe der nächsten Tankstelle – angeblich im 130 Kilometer entfernten Endziel Leh gelegen. Die Panik hüpfte uns ins Gesicht. Wir schilderten unsere ausweglose Situation, nicht in dieser Einöde für zwei Tage gefangen sein zu wollen, erfanden, dass wir das Motorrad abgeben müssen und das der Weltfrieden ohne uns in Gefahr sei. Darauf hin marschierte er zum Tankstellenwächter, der sich langsam und ohne uns Beachtung zu schenken zur Zapfsäule aufmachte. „Öffne Tank“ befahl der Wartende und der Tankwart begann, an seinem Zapfgerät herumzukurbeln. Es gluckerte, gluckste und zischte bis plötzlich aus den Unweiten des ausgetrockneten Rüssels Benzin in unseren Tank sprudelte. Sagenhafte 5 Liter kurbelte der Wart aus seinem Tank in unseren – genug für uns, nach Hause zu kommen.
Die folgenden 130 Kilometer vergingen dank perfekten Bilderbuchwetters wie im Flug. Reichlich erschöpft und wirbelsäulengeschändet kamen wir in Leh an. Unsere Maschine hat die Rückfahrt nicht ganz so überstanden: Plattfuß, verschlissene Hinterradbremse, kaputte Hupe – so die Bilanz des Tages.