Mit Volldampf startete die re:publica in diesem Jahr. Bereits die Eröffnung nutzte Markus Beckedahl, Initiator und Betreiber von Netzpolitik.org, um auf das Thema der Netzneutralität vs. privatwirtschaftlicher Interessen aufmerksam zu machen. Die Netzgemeinde hat noch keine meinungsbildende Mehr in Deutschland und ist dadurch dem politischen und lobbyistischen Spielchen fast schutzlos ausgeliefert - mit dramatischen Folgen für den Standort Deutschland.
[caption id=“attachment_1744” align=“alignnone” width=“700”] Betsy Hoover spricht über die digitale Kampagne zur US-Präsidentschaftswahl[/caption]
Betsy Hoover, die den digitalen Wahlkampf von Barack Obama leitete, überraschte mit Informationen, bei denen sich so mach deutscher Politiker die Augen reiben würde. Nicht nur, dass Wahlkampfhelfer jeden persönlich anrufen, der sich online für die Wahl registriert hat, auch die Reichweite der Kampagnen in sozialen Netzwerken ist unvergleichlich. Barack Obama ist auf Facebook mit Personen befreundet, die mit 98% der amerikanischen Wahlberechtigten befreundet sind. Durch einen strategischen Kampagnenaufbau gelang es, Wähler zu aktivieren, über zwei Millionen freiwillige Helfer zu motivieren und am Ende die Wahl zu gewinnen. Ob ein solches Szenario auch für Deutschland vorstellbar ist? Eine Kampagne passt sich immer der Person an, um die es geht, so die politisch korrekte Antwort von Betsy Hoover auf die Anspielung, ob auch Kanzlerin Merkel einen Onlinewahlkampf mit diesem Erfolg führen könnte.
[caption id=“attachment_1743” align=“alignnone” width=“700”] Günter Dueck fordert ein Umdenken unserer Gesellschaft[/caption]
Günter Dueck rief zum metakulturellen Diskurs auf. Alleine dem Mann bei seiner Präsentation zuzuhören ist ein Fest, ist man gezwungen sich in seine Gedankenwelt hineinzuerahnen. Anders fällt es schwer, den Ansatz seines Aufrufs zu verstehen. Nach 60 Minuten war seine Botschaft ausformuliert: während wir uns in unserer heutigen Gesellschaft in einem Wettkampf um Leistung befinden, von der Schule bis zum Job unsere Festplatten mit Wissen füllen, bleibt die Menschenbildung auf der Strecke. Der Fokus der Gesellschaft im 21. Jhd. liegt auf Dingen, nicht auf Menschen. Schaut man sich das politische Parkett an, geht es im täglichen Politikzirkus gegen Sachen, nie aber direkt für Menschen.
Kathrin Passig gewährte Einblicke hinter die Kulissen ihres Projekts zufallsshirt.de und schlug einen Bogen über die aktuellen Entwicklungen im Bereich des Mass Customisation. Überraschend war dabei ihre Erkenntnis, dass es Konsumenten schwer fällt zu erkennen, was gefällt. Insbesondere wenn man die Möglichkeit hat, selber zu entscheiden, wie Shirt, Schuh oder Jacke aussehen soll, sind Konsumenten überfordert und brechen den Kaufprozess ab. Setzt man ihnen aber fertige Produkte vor die Nase, kaufen sie. Vor diesem Hintergrund kam mir das Thema des „Curated Shoppings“ wieder in den Sinn - Kunden möchten zwar individuelle Lösungen haben, sind überfordert bei der Auswahl, erhalten jedoch durch Beratung einen Guide an die Hand, der den Kauf begleitet.
Sascha Funk, der aus Bangkok anreiste, berichtete über das Verhalten von Asiaten in sozialen Netzwerken. Vergleicht man die reinen Nutzerzahlen zwischen Asien und Deutschland, wird schnell klar, das wir eben nicht der Nabel der digitalen Welt sind und mit Gesetzen nahezu alles in diesem Bereich in Grund und Boden reguliert wurde. Ob das langfristig von Vor- oder Nachteil sein wird, kann jeder für sich selbst beantworten. Zusammengefasst kann man sagen: Asien ist permanent online und mobil. Das Motto lautet „As long as it works I don´t care how it looks“. Schaut man sich die meistbesuchten Webseiten im asiatischen Raum an, fühlt man sich in die Designsteinzeit zurückversetzt. Ein völlig differentes Nutzerverhalten als in unseren Breitengraden ist erkennbar. Für den E-Commerce-Sektor spannend: Onlineshopping findet dort u.a. sehr stark auch auf Facebook statt: ein Unternehmen postet ein Foto von einem Produkt. Kunden kommentieren das Foto mit ihrer Kaufabsicht und schon beginnen Unternehmen und Kunde den Kauf per Kommentarfunktion abzuwickeln. In Deutschland nicht vorstellbar das.
[caption id=“attachment_1742” align=“alignleft” width=“400”] Sascha Lobo: Hunde, Katzen & Frau Merkel[/caption]
Sascha Lobo überraschte nicht wirklich mit seinem „Überraschungsvortrag II“. Dennoch markierte er zweifelsohne den Höhepunkt des ersten Tages. Mit handverlesenen Hunde-, Katzen- und Merkelbildern führte er die Zuhörer auf seine zwei Thesen, die der netzPOLITIK in Deutschland zu der Beachtung verhelfen, die sie benötigt:
Was würde Merkel überzeugen?
MACHEN!
Als erste Premiere stellte er an diesem Abend das von ihm für das „Internet“ entworfene Logo vor. Das Logo kann unter internet-logo.org angesehen und zur Nutzung übernommen werden. Braucht man ja manchmal. Und da wir Menschen Bilder mögen, ist das sicher eine tolle Idee.
Als zweite Premiere rief er mit dem von ihm konzipierten Plugin reclaim.fm dazu auf, sich die Inhalte des Netzes zurück zu erobern und seine eigenen digitalen Spuren zu sammeln und auf Ewig zu speichern - als Konterposition zu den Contentsammlern Facebook, Google+ & Co. Schon besser, diese Idee.
Zusammenfassend hat Lobo das gehalten, wofür er steht: er hält den Zuhörern einen in Flausch verpackten Spiegel vor - damit diese vor Schock nicht zu Salzsäulen erstarren. Um es mit einem deutschen Dichter zu sagen: “Denk´ ich an Deutschlands Internet, bin ich um den Schlaf gebracht.”
Im Rahmen der re:publica wird es eine weitere Weltpremiere geben: alle Vorträge des ersten Tages wurden quasi in Echtzeit von einem Redaktionsteam erfasst und werden in Form eines eBooks im Laufe des 2. Tages veröffentlicht. Der Link folgt an dieser Stelle, wenn es soweit ist.