Ganze 2 Wochen hat es gedauert, bis ich mein inzwischen schon traditionelles re:sumee der diesjährigen re:publica hier veröffentliche. Der Abstand zwischen Veranstaltung und Nachbetrachtung zeigt, dass in diesem Jahr in Berlin etwas anders war, als in den 5 Jahren meiner Besuche zuvor.

Habe ich in den Jahren zuvor meine Zusammenfassung stets direkt am Tag nach der re:publica verfasst, schien es mir in diesem Jahr notwendig, Abstand zu gewinnen, um zu reflektieren, was von der Konferenz “hängen” geblieben ist. Die große Herausforderung im Jahr 2017 bestand darin, dass es mit mehr als 1.000 Vorträgen, Workshops und Meetups schlicht nicht möglich war, sich vor Ort ein umfassendes Bild zu machen. Selbst im Nachgang der Konferenz reicht die Zeit nicht aus, sich durch die aktuell 249 aufgezeichneten Sessions auf dem Youtube-Kanal der re:publica durchzuschauen. Hell yeah! Schade!

Meine persönlichen Leuchtpunkte der Konferenz, die in diesem Jahr unter dem Motto “LOVE OUT LOUD” für mehr ausgesprochene Liebe antrat, waren:

Carolin Emcke: Reflexion: Love out Loud

Die Friedensbuchpreisträgerin Carolin Emcke eröffnete die re:publica 2017 mit einer Reflexion über Liebe und Empathie, on-und offline. Es war nicht ganz leicht, in den Vortrag reinzufinden, aber es lohnte ungemein. Den Vortrag inhaltlich zu umschreiben, fällt mir schwer, denn geblieben ist wohl eher als ein Gefühl, eine Haltung und die Bestätigung, dass man sich selber zuerst einmal mit sich selber beschäftigen sollte, bevor man bei anderen anfängt. Hängengeblieben ist bei mir vor allem ihre Aussage: “Wir brauchen keine Liebe, wir brauchen Respekt und wenn Sie mich fragen, höfliche Gleichgültigkeit würde es auch tun.” (Minute: 26:00).

Sascha Lobo: Vom Reden im Netz.

Sascha Lobo berichtet in seiner inzwischen zum festen Inventar der re:publica gehörenden Rede von seinen Recherchen zur Diskussionskultur im Netz und die gemachten Erfahrungen im Dialog mit Menschen, die anderer Meinung sind, ihre Meinung als unumstößliche Gesamtwahrheit betrachten. Als Learning bleibt, den Dialog zu suchen, mit Menschen zu reden. Sich ihre Position genauso offen anzuhören, wie man es selber vom Gegenüber erwarten möchte. Ein Plädoyer für mehr miteinander reden.

Elisabeth Wehling: Die Macht der Sprachbilder – Politisches Framing

Die Neuroforscherin und Linguistin leitet am International Computer Science Institute in Berkeley Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung mit Methoden der Neuro- und Verhaltensforschung sowie der kognitionslinguistischen Diskursanalyse. In ihrem Vortrag demonstriert sie, warum politische Entscheidungen nicht auf Fakten, sondern auf Frames beruhen. Frames, das sind Deutungsrahmen im Gehirn, die über Sprache aufgerufen und zugleich gefestigt werden, und zwar ohne, dass wir es bewusst wahrnehmen. So greift Sprache in unser politisches Gehirn ein und formt es. Dieser Vortrag zeigt Wege auf für einen bewussteren Umgang mit der politischen Sprache und dem eigenen Denken und offenbart: Wer Wahlen gewinnen, neutral berichterstatten oder als mündiger Bürger frei entscheiden will, der muss sein politisches Gehirn und die Mechanismen neurokognitiver Kommunikation und Kampagnenführung kennen.

Gunter Dueck: Flachsinn – über gute und schlechte Aufmerksamkeit

Lautes Trommeln schlägt Kompetenz. So etwa könnte man den Vortrag vom Ex-IBM Mastermind Gunter Dueck betiteln. Schaute man früher auf die stillen Denker und folgte ihren Empfehlungen, gilt heute: je lauter, desto richtiger. Wer auf sich aufmerksam machen kann - womit, ist fast egal - kann gleich Werbefläche im Internet um sich scharen und ans Geldverdienen gehen. Aufmerksamkeit muss also um jeden Preis her, am einfachsten, indem man nur noch mit Schrillem und Buntem winkt und am besten gleichzeitig Tabus verletzt. Der Flachsinnpegel steigt natürlich ständig an. Das Wichtige und Ernsthafte kommt immer weniger dagegen an. Kann noch intensiv diskutiert werden? Wer oder was gewinnt also in der Aufmerksamkeitsökonomie? Und wie lange hält gewonnene Aufmerksamkeit vor? Wie verwertet man sie?

»Wir hab’n Polizei!« - Chancen & Herausforderungen beim Einsatz sozialer Medien

Aufgezeigt wurde, wie ein ganzer Berufsstand durch seine Kommunikation in den sozialen Medien eine Art Imageaufschwung von »dislikable« zu »loveable« erfahren hat, welche positiven Signale dies für unsere Gesellschaft, den Rechtsstaat und die Zukunft der digitalen Präsenz der Polizei haben kann, vor welche Herausforderungen der offene Dialog die Beamten aber auch stellt (Stichworte: Falschmeldungen, Hatespeech, Whistleblowing, Terrorwarnungen …) und wie diese Weise der “neuen Kommunikation” anderen Berufsgruppen zum Vorbild gereichen kann.

Was am Ende übrig bleibt:

Digitale Kommunikation ist in der breiten Bevölkerung angekommen und anders als in klassischer, medialer Berichterstattung kann jeder zum Sender werden, jeder sich sein eigenes Nachrichten- und Meinungsmenü zusammenstellen. Die vermeintliche Gatekeeper-Funktion von Verlagshäusern und Fernsehanstalten löst sich auf. Die Herausforderung die sich stellt: wie erreichen validierte Informationen eine breite Masse? Wie verhindert man gezielte, manipulative Falschmeldungen? Wieso verlieren Menschen im Netz jedwede Hemmung im Umgang mit Menschen, die anderer Meinung sind. Warum ist für viele Menschen die eigene Meinung die einzig gültige und vor allem die Richtige?

Ich spanne den Bogen aus diesem Aspekt für mich auch hinüber bis zu Unternehmen, denn diese stecken mit ihrer Markenkommunikation ja eben in dem gleichen Wollknäuel. Die Herausforderung für alle Akteure besteht also darin, sich einzuordnen, neu zu ordnen aber sich nicht unterzuordnen und auf das Kommunikationsverhalten im digitalen Umfeld angepasst zu reagieren. Die Herausforderung im Umgang mit Hate-Speech, Fake-News, Cyber-Mobbing, Wahrheitsabsolutismus etc. trifft also nicht nur Nachrichten-Magazine, sondern eben auch klassisch kommunizierende Unternehmen.

Aber es bleibt auch ein Stück Ratlosigkeit. Der rasante Wandel der Kommunikation “hängt” scheinbar die breite Masse der Bevölkerung ab. Digitale Kompetenz ist das Stichwort. Wer vermittelt der jungen Generation zu unterscheiden, was Wahrheit und Lüge ist? Sind es die Medien? Sind es amerikanische Plattformen? Sind es die Eltern oder fällt den Bildungseinrichtungen diese Aufgabe zu? Unsere Gesellschaft steckt in einem Spannungsfeld: die Technologien ermöglichen es inzwischen Einzelpersonen mit ihren “Meinungen” mediale Reichweiten zu erzielen, von den Medienhäuser nicht zu träumen wagten und heute Alb träumen. Was fehlt ist die Kompetenz, Fakten von Gefühlen zu unterscheiden. Der Ausspruch “Steht doch bei Facebook” ist inzwischen laut Studien bei Teenagern die Definition von Medienkompetenz.

Die re:publica hat für mein Gefühl in diesem Jahr einen weiteren, großen Schritt in Richtung Mainstream gemacht. Mainstream nicht im negativen Sinn, sondern im Sinn der Wahrnehmung als wichtige, weil kritische und konstruktive Konferenz für vielfältige Aspekte des digitalen Kulturwandels unserer Gesellschaft. Das Aufgebot an involvierten Medien (rbb, WDR, ZDF), die Politikerdichte (Andrea Nahles, Thomas de Maizière) und die Berichterstattung (inzwischen ist keine Rede mehr von Hacker- oder Nerd-Konferenz) unterstreichen neben dem thematischen Wechsel von Social Media/Blogs/Nerdkram hin zu gesellschaftspolitischen Diskursen den Reifeprozess der Konferenz. Und die der Teilnehmer.

 

 

Moritz Neumeier (2.v.r.) im rbb-Talk über das Format “funk”: auch junge Menschen wollen Nachrichten, sie möchten sie nur anders verpackt haben.

Sascha Lobo im Interview über sein Social-Factual-Format “Manipuliert”

 

WDR-Intendant Tom Burow

 

#Hugsnothate, eine Kampagne gegen Hass.

Austausch: wie können Kinder schon im Grundschulalter für die aktive Mitgestaltung der digitalen Welt motiviert werden: Leiterplatten selber Programmieren für Kinder ab 8.

 

Die Station am Gleisdreieck: das schönste Zuhause für 3 Tage in Berlin